Montag, 7. Dezember 2015

Der Narzisst wohnt in uns allen.

Nachdem nun die Bachelorarbeit Richtung Fertigstellung geht, suchte ich eine neue Beschäftigung. Die hab ich jetzt erstmal gefunden im lesen psychologischer Bücher. Damit ich davon auch was behalte, schreib ich mir was auch und stelle Zusammenfassungen hier ein. Und hier folgt der erste Kandidat:

Alice Miller: Drama des begabten Kindes und die Suche nach dem wahren Selbst (1979).


narzisst

Sigmund Freud habe im Alter von 15 Jahren in sein Buch geschrieben, das der schlimmste Egoist derjenige Mensch sei, dem es noch nie in den Sinn gekommen sei, dass er ein Egoist sei. Alice Miller knüpft in psychoanalytischer Tradition daran an und rekurriert bei der Entwicklung der narzisstischen Störung auf Erlebnisse in frühester Kindheit. Als das Kind seinen gesunden Narzissmus nicht ausleben durfte. Die Phase gehört zu den Entwicklungsphasen in der frühen Kindheit, die wir im Besten Falle alle haben durchleben dürfen. Eine Phase, in der das Kind sein ureigenes Bedürfnis erleben darf, in dem es selbst als das was es jeweils ist, beachtet und angenommen wird. Nun geht es in dem Buch keineswegs darum, alle Mütter und Väter an den Pranger zu stellen und ihnen die Schuld für die Störungen des Kindes zu geben. Sie hebt jedoch hervor, dass die Eltern bei der Erziehung ihres Kindes häufig ihre eigenen Erfahrungen aus der Kindheit wiederholen. Weil ihnen der Einfluss ihrer eigenen Kindheit nicht bewusst ist. Was daraus resultiert sind 'begabte Kinder', die ihre gelernt haben ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen und ihre Antennen ganz auf die Bedürfnisse anderer ausgerichtet haben. Das führt im späteren Leben häufig zu Problemen.

Wichtig ist zunächst die Unterscheidung zwischen gesundem Narzissmus, als einem gesunden Selbstgefühl und der umangezweifelten Sicherheit, dass empfundene Gefühle und Wünsche zum eigenen Selbst gehört. Diese Sicherheit muss nicht reflektiert werden, sie ist einfach da. Demgegenüber können bei der narzisstischen Störung die natürlichen narzisstischen Bedürfnisse nicht in die Persönlichkeit integriert werden. Sie werden abgespalten, teilweise verdrängt und behalten eine archaische Form, was die spätere Integration erschwert. Menschen mit narzisstischen Störungen fehle ein emphatisches internalisiertes Selbstobjekt, weshalb sie nicht von Gefühlen überrascht werden können. Bei ihnen fänden nur solche Gefühle Zutritt, die die innere Instanz - die Erbin der Eltern - zulässt und gutheißt. Der Preis den es dafür zu zahlen gilt, ist die Depression und Innere Leere.

Weitergehend beschreibt sie zwei Seiten ein und derselben Medaille. Auf der einen Seite befindet sich die Grandiosität als Abwehr der Depression und Abwehr des tiefen Schmerzes über den Selbstverlust. Der grandiose Mensch sei nie wirklich frei, da er von der Bewunderung der Bezugsobjekte abhängig sei und die Selbstachtung von Eigenschaften, Funktionen und Leistungen abhängt die ohne Vorwarnung zusammenbrechen können. Der grandiose Mensch besetzt Andere narzisstisch, damit sie ihm diese Bewunderung geben können. Auf der anderen Seite der Medaille lauert die Depression als Leere, Sinnlosigkeit des Daseins und Einsamkeit. Die Depression führt in die Nähe der Wunde (aus der Kindheit), jedoch könne "die Trauer über das Vermisste, das in der entscheidenden Zeit vermisste" zur Vernarbung führen. Depression und Grandiosität. Beide signalisieren ein inneres Gefängnis bestehend aus brüchiger Selbstachtung, Perfektionismus, Verleugnung verachteter Gefühle, Angst vor Liebesverlust, starker (aber abgespaltener) Aggression, Anfälligkeit für Kränkungen und Schuldgefühle sowie Ruhelosigkeit. Depression wird bewertet als Signal des Selbstverlustes, Verleugnung der eigenen Gefühlsreaktion, die als lebensnotwendige Anpassung aus Angst vor Liebesentzug in der Kindheit begann.

"Die wohl größte narzisstische Wunde - nicht als das, was man war, geliebt worden zu sein - kann ohne Trauerarbeit nicht heilen. Sie kann entweder (…) abgewehrt werden (siehe Grandiosität/ Depression), oder, im Wiederholungszwang, immer wieder aufgerissen werden". Hierin beschreibt Alice Miller die zentrale Funktion um die verpassten Chancen aus der Kindheit zu trauern, da nur so die Wunden heilen könnten. Sie schreibt weiter: "Aber hat der Patient in seiner Analyse wiederholt bewusst erlebt, wie er als Kind im ganzen Werk seiner Erziehung manipuliert wurde und welche Vergeltungswünsche das in ihm hinterlassen hat, dann wird er schneller als bisher Manipulationen durchschauen und wird weniger das Bedürfnis haben selbst zu manipulieren".


Fazit: Das Drama des begabten Kindes ist zwar schon vor einigen Jahren veröffentlicht worden, an der Aktualität hat sich jedoch kaum etwas geändert. Auch wenn ich den ständigen Bezug der Psychoanalytikergemeinde auf die Mutter und den Vater kritisch beäuge, ist deren Einfluss gerade bei der Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen wohl kaum von der Hand zu weisen. Wichtige Punkte in dem Buch sind die Unterscheidung zwischen gesundem Narzissmus in Abgrenzung zur narzisstischen Störung, wobei ihr wichtig war, dass es nicht um den pathologischen Narzissmus ginge. Das Buch lässt sich gut lesen, selbst ohne großartige psychologische Vorkenntnisse. Sie führt die Begriffe verständlich ein und bleibt auf einer allgemein verständlichen Ebene. Es wird kein Vorwurf an die Elterngeneration formuliert, sondern vielmehr der dringende Ratschlag sich mit seinen eigenen unbewussten Mustern auseinanderzusetzen, sodass man nicht darauf angewiesen ist von anderen Menschen Liebe und Anerkennung zu erwerben. Wem ich das Buch empfehle? Jedem. Kann nicht schaden, sich (ganz offiziell und narzisstisch) mit sich selbst zu beschäftigen. Oder um es mit Alice Miller zu sagen: Jeder Einzelne von uns hat im Inneren eine verborgene Kammer, in der sich die Requisiten des eigenen Kindheitsdramas befinden.

1 Kommentar:

Anna hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.